Taschenrechner (r)aus – den Nutri-Score selbst berechnen

Nicht jede Firma hat Interesse daran, den Nutri-Score auf ihren Produkten einzuführen. Vor allem wenn sie in Kategorie D oder E zugeordnet werden würden und das kaum Werbung darstellt. Solange der Nutri-Score eine freiwillige Kennzeichnung bleibt, wird es Produkte geben, die keinen Buchstaben tragen. Kann man das als Verbraucher nachrechnen? Oder lohnt sich das gar nicht, weil ich mir eh schon denken kann, dass es ein D oder E sein muss. Wenn es nichts zu verheimlich gibt, würden sie es aufdrucken.

Inhaltsverzeichnis
Warum Hersteller den Nutri-Score nicht aufdrucken
Welche Internetseiten oder Apps helfen bei der Nutri-Score-Berechnung?
Einspruch: Selber berechnen kann nicht funktionieren!
Wie kann ich den Nutri-Score selbst berechnen?
Wenn Angaben fehlen - Was gibt Anhaltspunkte, um den Nutri-Score trotzdem einschätzen zu können?

Warum Hersteller den Nutri-Score nicht aufdrucken

Manche Hersteller kommunizieren offen, warum sie den Nutri-Score nicht aufdrucken wollen. Nicht immer ist der Grund, dass sie etwas verbergen wollen.

    1. Grund: Die Produkte sind offensichtlich zum seltenen Verzehr geeignet.

      Ganz ehrlich, was hat es für einen Sinn, sein komplettes Produktportfolio an Süßigkeiten mit einem roten E zu bedrucken. Das kann sich der Verbraucher doch denken. Es ist allgemein bekannt, dass Süßigkeiten keine Hauptmahlzeiten sein sollen.

        2. Grund: Er hat eher unausgewogene Produkte

          Der Hersteller darf keine Auswahl treffen, welche Produkte er bedruckt und welche nicht. Wenn, dann müssen alle Produkte einer Marke gekennzeichnet sein. Wenn er zu 20% C, zu 40% D und 40% E- Produkte anbietet, wird er sich nicht wegen der C-Produkte für den Nutri-Score entscheiden.

            3. Grund: Der Hersteller bewertet den Nutri-Score als unzureichende Lösung

              Unilever sieht im Nutri-Score eher wenig Nutzen, da er nicht die Bedeutung der Lebensmittelvielfalt für die Ernährung abbildet und den Verbraucher nur eingeschränkt eine Hilfestellung für eine ausgewogene Ernährung ist.

                4. Grund: Der Nutri-Score werte andere Produkteigenschaften ab

                  Wheaty reagierte auf ein Marktcheck der Verbraucherzentrale, bei dem auch zwei ihrer veganen Produkte dabei waren: „Wir wehren uns aber vehement gegen eine missverständliche Abwertung unbedenklicher, hochwertiger Rohstoffe, wie wir sie verwenden.“ Nutri-Score versage bei den Pflanzenölen. Deswegen gibt es keine Zustimmung für das Label.

                    5. Grund: Kein fairer Wettbewerb durch das Nutzen von Zusatzstoffen

                      Bio-Unternehmen sehen ebenfalls Schwächen in dem neuen Farben-Logo. Der Bundesverband Naturkost Naturwaren schreibt: „Aktuell werden Bio-Lebensmittel, die gesünder und nachhaltiger sind, durch den Nutri-Score benachteiligt.“ Da der Nutri-Score Ersatzstoffe nicht erfasst, könnten konventionelle Lebensmittelhersteller ihre Rezepturen schönen, während das bei Bio-Lebensmitteln nur sehr eingeschränkt möglich ist. So kämen konventionelle Lebensmittel gesünder daher. „Sie sind außerdem durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide bei der Erzeugung und mit möglichst naturbelassenen Zutaten auch die gesünderen Lebensmittel. Deswegen kann es nicht angehen, dass ein Label, das zu gesunder Ernährung hinführen soll, diese Tatsachen unberücksichtigt lässt.“, sagt Kathrin Jäckel, BNN-Geschäftsführerin.

                      Das gängigste Beispiel der Nutri-Score-Skeptiker ist der Vergleich zwischen Apfelsaft mit Cola light. Während der Saft mit einem gelben „C“ bewertet wird, bekommt eine Cola light ein „B“. Das wären zu große Mängel und so lehnen Hersteller die Nährwertkennzeichnung ab.

                      Welche Internetseiten oder Apps helfen bei der Nutri-Score-Berechnung?

                      Wenn die Hersteller es nicht freiwillig machen, dann rechnen wir das für sie. Die Berechnungsgrundlage ist frei verfügbar. Die Seite OpenFoodFacts bietet eine offene Datenbank für Lebensmittel, in die jeder Produkte einstellen kann. Anbieter ist eine Non-Profit-Organisation aus Frankreich. Auf der Website und in der mobilen kostenlosen App finden sich 800.000 Produkte. Der Verbraucher scannt den Barcode des Produktes und bekommt die Nährwertangaben angezeigt. Dabei wird auch der Nutri-Score angegeben. Wenn ein Produkt noch nicht in der Datenbank ist, können die Nutzer es selbst nachtragen.

                      Auch bei einer unvollständigen Dateneingabe wird der Nutri-Score angegeben. Wenn etwas fehlt, erscheint ein Warnhinweis: „Die Menge an Ballaststoffen wurde nicht angegeben, ihr möglicher positiver Beitrag zur Güte konnte nicht berücksichtigt werden.“ Oder es wird erwähnt, dass die Menge an Früchten, Gemüse und Nüssen auf dem Etikett nicht angegeben ist und die Menge geschätzt wurde.

                      Das bedeutet, dass ein Verbraucher eine Einschätzung erhält, auch wenn er nicht alle Informationen hat. Natürlich sind die Angaben immer unter Vorbehalt, da offene Datenbanken fehleranfällig sind und die Angaben nicht geprüft werden.

                      Das Fazit von Prof. Dr. med. Berthold Koletzko, Ernährungsmediziner und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, lautet: „Verbraucher können die App zum Nutri-Score leicht im Supermarkt anwenden. Die Datenlage zeigt ganz klar, dass Familien aus allen sozioökonomischen Gruppen gleichermaßen profitieren und mithilfe des Labels gesündere Produkte auswählen. Solange deutsche Firmen keine einfache Kennzeichnung pro 100 Gramm auf der Vorderseite anbieten, sollten Verbraucher die App nutzen.“

                      Einspruch: Selber berechnen kann nicht funktionieren!

                      Der Lebensmittelverband hatte im Dezember 2019 darauf hingewiesen, dass der Nutri-Score freiwillig ist und das auch gewährleistet bleiben soll.

                      Bei den 10 Punkten zur Nachbesserung des Nutri-Scores heißt es bei Punkt 4:

                      „Zur Gewährleistung der Freiwilligkeit muss auch sichergestellt werden, dass die Unternehmen nicht durch Dritte, zum Beispiel durch App-Anbieter oder Internetseiten von Nichtregierungsorganisation, eine Bewertung auferlegt bekommen, zumal diese Bewertung aufgrund der Tatsache, dass Dritte die exakte Rezeptur des Lebensmittels gar nicht kennen können, in aller Regel schlicht falsch sein wird. Nur mit Hilfe der verpflichtenden Nährwerttabelle können Externe keine exakte Nutri-Score-Berechnung vornehmen, da wesentliche Berechnungsgrundlagen wie der Obst- und Gemüseanteil oder der Ballaststoffgehalt sich oft weder aus der Nährwerttabelle noch aus dem Zutatenverzeichnis ablesen lassen.“

                      Einfach schlicht falsch? Versuchen wir herauszufinden, ob das stimmt.

                      Wie kann ich den Nutri-Score selbst berechnen?

                      Gute Nachricht, der Taschenrechner muss nicht rausgeholt werden. Den allergrößten Teil erledigt eine Excel-Tabelle, die die französische Gesundheitsbehörde bereitstellt. Darin können die Zahlen aus der Nährwerttabelle eingegeben werden und der Nutri-Score wird angezeigt.

                      Fünf Kriterien sind in der Nährwerttabelle gesetzlich festgelegt: Energie, Zucker, gesättigte Fettsäuren, Salz und Eiweiß. Den Natriumgehalt kann ermittelt werden, indem der Salzgehalt durch 2,5 geteilt wird.

                      Was fehlt, sind die Angaben zum Ballaststoffgehalt (er gilt zu den freiwilligen Angaben) und den Anteil an Obst, Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte und Raps-, Wallnuss- und Olivenöl. Das sind zwei der drei Bestandteile, die zu den günstigen Inhaltsstoffen zählen. Bei Fehlen dieser Angaben wird der Nutri-Score deutlich rot-lastig.

                      Wenn Angaben fehlen - Was gibt Anhaltspunkte, um den Nutri-Score trotzdem einschätzen zu können?

                      In der Zutatenliste finden sich die einzelnen Informationen, was an Obst, Gemüse und Co enthalten ist. Die exakte Mengenangabe ist nur selten angegeben. Verpflichtend ist die Prozentangabe nur, wenn die Zutat im Namen des Lebensmittels erwähnt wird.

                      Ein Hinweis gibt die mengenmäßige absteigende Reihenfolge in der Zutatenliste. Daran lässt sich grob überschlagen, ob der Anteil an Obst, Gemüse und Co in etwa 41, 61 oder 81% des Lebensmittels ausmacht. Geben wir die Nährwertangaben in der Excel-Tabelle ein und gehen die möglichen Angaben durch, ändert sich der Gesamtscore nur leicht und bleibt im selben Buchstabenbereich.

                      Gemüse, Obst, Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide sind sehr ballaststoffreich. Ist davon viel im Produkt enthalten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Produkt volle 5 Punkte für den Ballaststoffgehalt bekommt. 5 Punkte gibt es ab 4,8g Ballaststoffe pro 100g Lebensmittel.

                      Nutri-Score-Excel-Tabelle

                      Somit hat der Lebensmittelverband nicht recht mit der Aussage, dass das Ergebnis schlicht falsch sein wird. Er hat aber auch nicht ganz unrecht. Die genaue Angabe für den Nutri-Score kann tatsächlich nur der machen, der das exakte Rezept kennt. Dennoch lässt sich in vielen Fällen anhand der Zutatenliste und der Nährwertangaben der Nutri-Score einschätzen. Wenige Punkte Unterschied verändern den Gesamt-Score nur bedingt.

                       

                       

                       

                       

                      Quellen:
                      https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/auf-einen-blick-sehen-was-gesund-ist-wie-der-nutri-score-das-einkaufen-erleichtern-soll/25421136.html
                      https://www.wheaty.de/nutriscore/
                      https://n-bnn.de/pressemeldungen/09102020-nutri-score-bio-branche-fordert-nachbesserung
                      https://www.aerzteblatt.de/archiv/203219/Open-Food-Facts-Naehrwertqualitaet-von-Lebensmitteln-mithilfe-des-Nutri-Score-bewerten
                      https://de.openfoodfacts.org/produkt/20153229/mais-freshona
                      https://www.lebensmittelverband.de/de/verband/positionen/20191203-nutri-score-rahmenbedingungen-anpassungen
                      https://www.santepubliquefrance.fr/media/files/02-determinants-de-sante/nutrition-et-activite-physique/nutri-score/tableur-calcul-nutri-score-en