Genuss – gesundheitsfördernd oder krankmachend?
Genussforscher empfehlen das Genießen, da es die Gesundheit fördert. „Wer sich Genuss erlaubt, lebt gesünder.“ Gleichzeitig betonen sie, dass zwischendurch Unterbrechungen beim Genuss erforderlich sind. Auch Genussmomente können gewöhnlich werden, wenn sie zu viel und oft und lang ausgereizt werden. Zu viel des Guten macht krank. Ein schmaler Grat zwischen Gesundheits- und Krankheitsförderung? Das klingt kompliziert.
Warum sehen wir Genuss eher als Gefahr, insbesondere beim Essen? Ab wann wird Genuss zur Sucht, anstatt dass es der Seele wirklich gut tut? Was passiert im Gehirn beim Genießen? Gibt es Unterschiede bei den Genussmitteln?
Inhaltsverzeichnis
Genussvolle Ernährung – Gefahr oder Schutz?
Gesundheit durch Genuss
Das schlechte Gewissen steht der Gesundheit im Weg
Was sind eigentlich Genussmittel?
Was passiert im Gehirn, während ich genieße?
Genuss, Lust, Frust - Wann wird Genuss zur Sucht?
Mit Genuss wird Schokolade ein Schutz
Genussvolle Ernährung – Gefahr oder Schutz?
„Essen“ und „sich ernähren“ sind eigentlich Synonyme, sie werden aber nicht so verwendet. Mach einmal den Test und beantworte zwei Fragen: „Worauf legst du Wert beim Essen?“ Die meisten sagen jetzt: es soll schmecken, die Atmosphäre sollte gemütlich und der Tisch nett gedeckt sein. Und bei der zweiten Frage: „Worauf legst du Wert bei der Ernährung?“, lauten die Antworten eher: zuckerreduziert, vitaminreich, ballaststoffreich, ausgewogen. Beim Essen antworten wir emotional, bei der Ernährung eher rational. Schon kleine Kinder unterscheiden zwischen gesund und lecker.
Wir entscheiden uns für das „essen“ und kommen damit unserem Genussbedürfnis nach, während in unseren Köpfen der Gedanke existiert „aber du wolltest dich doch gesund ernähren“. Kein Wunder, dass nicht jeder Mensch unbeschwert genießen kann.
Viele erlauben sich keinen Genuss, da mögliche Gesundheitsrisiken im Raum stehen. Da ist Angst vor Pestiziden im Essen, vor Zusatzstoffen, vor Täuschung und vor der Zahl auf der Waage. Auf dem Weg zum Schlanksein hat Genießen keinen Platz. Das funktioniert nur rational. Neidvoll schauen sie auf die, die anscheinend ohne Probleme essen können, was sie wollen.
Kann es sein, dass wir das Genießen verlernt haben? Dass uns bei dem Gedanken an Genießen eine ansehnliche Liste mit Ängsten (besser Vorsicht als Nachsicht) begleitet? Und dass unsere Sinneswahrnehmungen kaum genutzt werden, weil jederzeit und überall Lebensmittel verfügbar sind, die wir selten bewusst essen?
Genießen muss neu interpretiert werden. Nicht als Gefahr, sondern als Hilfe. Denn gesunde Ernährung beinhaltet Wohlbefinden durch Genuss. Es ist wesentlich für uns, wir steigern unsere Freude und Lebensqualität.
Genussvolles Essen wird sogar als möglichen Schutz vor Übergewicht diskutiert. Genuss-Programme können helfen, dass Essverhalten zu verändern und einen genießenden Umgang mit Lebensmittel zu erlernen.
Gesundheit durch Genuss
„Wer gesund bleiben will, sollte lernen zu genießen.“
Gesundheit umfasst nicht nur den Körper von Schmerzfreiheit, sondern es beinhaltet außerdem sich geistig und sozial vollkommen wohl zu fühlen.
Körperliches und emotionales Wohlbefinden werden unter anderem durch Gefühle bestimmt. Durch sie bewerten wir, ob es uns gut geht oder nicht. Auch Freude und Genuss tragen zu unserer Stimmung bei. Punktuell und langfristig. Schon bei der Vorfreude wird Dopamin im Gehirn freigesetzt. Dieser Neurotransmitter sollte nicht unterschätzt werden.
Er sorgt beispielsweise für ein starkes Immunsystem. Der Arzt, Psychologe und Psychotherapeut Prof. Dr. Christian Schubert erklärt: „Bei Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung beobachtet man eine verbesserte Immunsituation sowie eine Verringerung von Entzündungsfaktoren.“ Das senkt das Erkrankungsrisiko und verlängert die Lebenserwartung. „Durch den positiven Effekt von positiven Emotionen auf Entzündungen verringert sich langfristig das Risiko für chronische Entzündungserkrankungen.“
Genießen beeinflusst den Blutdruck. Erinnern wir uns an schöne Erlebnisse und durchleben wir sie in Gedanken noch einmal, wirkt das beruhigend und Blutdruck und Herzfrequenz werden niedriger.
Ebenfalls kann Genuss als Stresspuffer genutzt werden. Durch genussfrohe Momente wird im Gehirn GABA (Gamma-Aminobuttersäure) freigesetzt, was beruhigend und angstlösend wirken kann, da die Signale gehemmt werden, die durch Stress-Reaktionen ausgelöst werden.
Wenn wir etwas gerne tun, haben wir Freude dabei. Der positive Stress (Eustress) macht uns munter, kreativ und leistungsfähig. Davon profitiert unsere Denkleistung, denn das Gehirn wird durch die Synapsenverknüpfungen beim Genießen optimiert.
Und nebenbei: Knapp die Hälfte der Genießer sind normalgewichtig (47%), während es bei Genusszweiflern und -unfähigen nur 38% sind.
Das schlechte Gewissen steht der Gesundheit im Weg
Das gesunde Genießen funktioniert nur mit einem guten Gewissen. Haben wir ein schlechtes Gewissen, fühlen wir uns unwohl. Hätte ich etwas anders machen sollen? Schuldgefühle beeinträchtigen unsere Freude. Sie aktivieren eine Menge Stresshormone und die Mobilisierung von Cholesterin. Viel mehr, als eigentlich notwendig ist. Wenn die Stimmung dauerhaft von Ärger, Jammer und Nörgelei geprägt ist, bildet sich eine Grundlage für Krankheit und Leiden.
Also kann Genießen auch unsere Gesundheit schädigen, wenn wir „falsch“ genießen. Wir wissen z.B., dass manche Genussmittel ihre eigene Dynamik entwickeln können.
Was sind eigentlich Genussmittel?
Nicht jedes Genussmittel ist eine Delikatesse und ebenso wenig eine Droge. Definiert sind Genussmittel als „Lebensmittel oder Substanzen, meist pflanzlicher Herkunft, die beim Menschen ein angenehmes Empfinden erzeugen.“ Darunter zählen Produkte wie Kaffee, Tee, Mate, Cola, alkoholische Getränke und Tabak, ebenfalls Süßwaren und Gewürze werden so bezeichnet. Der Nährwert ist dabei unwichtig; es geht um die positiven Sinneseindrücke.
Der Begriff ist mit Luxus und Status verknüpft. Auf manchen Genussmitteln liegt eine extra Steuer. Die Abgabe ist ein Gruß aus der Geschichte, denn die Ware war früher knapp und teuer, was sich nur die reiche Oberschicht leisten konnte. Mit einer Steuer wurden nur diejenigen belastet, die ohnehin genug Geld hatten. Durch Luxusartikel wurde Prestige ausgedrückt: Ich kann es mir leisten, mir teure Sachen zu kaufen, die nicht lebensnotwendig sind. Durch den hohen Preis, die exotische Herkunft und die Seltenheit drückt der Besitzer seinen Status aus.
Neben dem sozioökonomischen Blickwinkel, gibt es auch den pharmakologisch-physiologischen Aspekt. Genussmittel wirken im Körper: sei es im Nervensystem, in den Gefäßen oder bei den Geschmacksorganen. Es löst im Körper und im Geist Aktivität oder Beruhigung aus. Alkohol wirkt dabei anders als Zucker. Tabak anders als Kaffee. Die Vorgänge im Gehirn sind unterschiedlich, weswegen manche Genussmittel zum Suchtmittel werden können.
Was passiert im Gehirn, während ich genieße?
Wenn der Duft von frisch gemähtem Gras in unsere Nasen steigt oder wir Kaffee-Duft einatmen, die warme Tasse in der Hand halten und unwillkürlich unsere Gesichtsmuskulatur entspannt, dann ist gleichzeitig einiges im Gehirn los.
Wir kosten das Genießen aus, wenn die Hormone ihren Job machen. Es ist das Belohnungssystem, was auf etwas Schönes reagiert. Der Impuls wird im Gehirn bewertet und bei positivem Ergebnis wird der Neurotransmitter Dopamin freigesetzt. Dadurch fühlen wir uns glücklich und zufrieden. Das gilt übrigens nicht nur für den Genussmoment an sich. Schon bei der Vorfreude auf diesen Moment werden Hormone ausgeschüttet.
Beim Riechen beispielsweise geht der Duft von der Riechschleimhaut in das limbische System und bei positiver Bewertung werden die Botenstoffe ausgeschüttet. Das frisch gemähte Gras lässt an schöne Sommermomente in der Kindheit erinnern.
Die Bewertung fällt unterschiedlich stark aus. Ein leckeres Essen kann „so wie erwartet gut“ schmecken, oder „wow, besser als ich dachte“. Je nachdem ist die Belohnung intensiver.
Moleküle von Drogen wie Alkohol, Nikotin oder Kokain erreichen das Gehirn, die Botenstoffe werden ausgeschüttet und das Genussempfinden ausgelöst. Der Bewertungsschritt bleibt aus.
Genuss, Lust, Frust - Wann wird Genuss zur Sucht?
Zuerst war das Genießen ein Verwöhnen, dann wurde es zur Gewohnheit und schließlich zum Konsum. Zu oft und zu viel. Die Menge an Sinneseindrücken wird nicht mehr bewusst wahrgenommen. Damit dieselbe Belohnungsintensität erreicht wird, ist mehr nötig: mehr Spannung, mehr Aufregung, mehr Genuss.
Der große Unterschied zwischen Genuss und Sucht ist, dass wir beim Genießen bewusst wahrnehmen und steuern, was wir machen.
Sucht entsteht durch den ausgeschalteten Bewertungsmechanismus. Die aufgenommenen Substanzen können eine extrem hohe Dopamin-Ausschüttung auslösen, was sich das Gehirn gut merken kann: eine Erinnerung an diese Belohnung lässt schon kleine Dinge wie ein Glas Wein als wichtigen Reiz bemerken. Es erfolgt eine Gewöhnung, sodass die Belohnung nicht mehr so stark ausfällt. Daraus bildet sich ein Verlangen nach mehr und damit ein Suchtverhalten.
Damit uns die Eigenkontrolle nicht entgleitet, sollte die Genussregel „Weniger ist mehr“ beachtet werden. Eine Auszeit sorgt dafür, dass der Genuss nicht gewöhnlich wird. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten zum Entspannen. Die Vielfalt hilft, dass eine einzelne Sache nicht zu oft genossen wird. Habe Mut Neues auszuprobieren. Werde Genussentdecker!
Mit Genuss wird Schokolade ein Schutz
Bei Genuss denken viele an Essen und es entsteht schnell ein zwiegespaltenes Gefühl: „Ja, genießen ist etwas Schönes, aber…“ Dieses „Aber“ sollte hinterfragt werden. Denn nicht nur vitaminreiche Ernährung ist wichtig, auch genussvoll essen ist gesund. Entscheidend ist, dass die uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf dem Erlebnis liegt. Nicht eilig, nicht nebenbei und nicht gewohnheitsmäßig, sonst wird Genuss zum Konsum. Mit Beteiligung aller Sinnen erleben wir Freude und Wohlbefinden.
Beim nächsten Genießen von Schokolade, einem Blissie oder sonst einem Snack, sollte das Fazit daher sein: Ich habe mir etwas richtig Gutes getan! Mein Immunsystem ist gestärkt, meine Lebenserwartung ist länger, mein Blutdruck ist gesunken und mein Stresspuffer ist gewachsen. Und alles nur, weil ich es nicht verschlungen, sondern zelebriert habe!
Quellen
Kann denn Essen Sünde sein? Wer richtig genießt, bleibt gesund und schlank - Prof. Dr. Michael Hamm https://books.google.de/books?id=fAqPCgAAQBAJ&pg=PT43&dq#v=onepage&q&f=false
https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/gluecksgefuehle-was-genuss-im-kopf-ausloest-12638310.html
https://www.sueddeutsche.de/wissen/ernaehrung-genuss-sucht-1.4264517
https://www.dasgehirn.info/krankheiten/sucht/vom-genuss-zur-sucht
https://www.medizinpopulaer.at/archiv/essen-trinken/details/article/geniessen-ist-gesund.html
https://www.medizinpopulaer.at/archiv/seele-sein/details/article/die-heilkraft-der-freude.html
https://www.forum-ernaehrung.at/artikel/detail/news/detail/News/genuss-statt-verdruss/
https://www.gesunde-ernaehrung.org/files/rw_stiftung/Themenpapier/2019_Genuss_Themenpapier_FINAL.pdf
Zielinski, Johanna. (2014). Genussmittel – Überblick und Tipps zum Loslassen. Ernährung & Medizin. 29. 170-172. 10.1055/s-0034-1373898.
https://www.spektrum.de/lexikon/ernaehrung/genussmittel/3416